"Genetics and Rare Disease" Prof. Janine Reichenbach, Institut für Regenerative Medizin, UZH /Somatische Gentherapie, Universitäts-Kinderspital Zürich und PD Dr. Ute Modlich, Institut für Regenerative Medizin, UZH
Gibt es neue Therapiemöglichkeiten für Menschen mit seltenen Erbrankheiten, die direkt am Entstehungsort der Krankheit wirken und sie heilen können?
In der Tat gibt es mit der Gentherapie erstmals in der Geschichte der modernen Medizin die Möglichkeit, Erbkrankheiten direkt an ihrem Ursprungsort in der Erbsubstanz, der sog. DNA, zu behandeln und zu heilen. Das ist mit anderen Medikamenten nicht möglich, da diese immer nur einzelne Krankheitssymptome zeitweilig bekämpfen können. Die Gentherapie ist hingegen eine auf den einzelnen Patienten abgestimmte und für seine Erkrankung ganz spezifische Therapie.
Gentherapien sind entwickelt worden für Erbkrankheiten des Blutsystems, für die eine Heilung mit einer Knochenmarktransplantation nicht möglich ist, oder für Patientinnen/en bei denen eine Knochenmarktransplantation von blutbildenden Stammzellen eines Spenders zu riskant und nebenwirkungsreich wäre.
Wie funktioniert diese Gentherapie?
Die meisten heute verfügbaren Gentherapien benutzen ein sog. Korrekturgen, das in die DNA des Patienten eingeschleust wird, um die Funktion des beim Patienten defekten Gens wiederherzustellen.
Ein Gen ist ein kleiner Abschnitt der gesamten menschlichen Erbsubstanz, in dem die Information für die Bildung eines Proteins gespeichert ist. Proteine wiederum sind wichtige Bausteine unserer Zellen, ohne die ein gesundes Leben nicht möglich ist.
Bei den meisten Erbkrankheiten kommt es durch den Defekt eines Gens zur fehlerhaften oder ganz ausbleibenden Bildung eines Proteins, das dann die Erkrankung der betroffenen Patientinnen/en bedingt.
Das Korrekturgen wird in die DNA der Körperzellen mittels eines Gentherapievektors eingeschleust. Dieser besteht aus einem künstlichen, für den Menschen nicht infektiösen Virus, dem Korrekturgen, sowie einem sog. Promotor, der das Ablesen des im Korrekturgen gespeicherten Protein-Codes in den Zellen des Patienten ermöglicht. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass in den Zellen nach einer Einmaltherapie lebenslang wieder gesundes Protein gebildet wird und die Erkrankung geheilt ist.
Seit wann gibt es Gentherapien?
Erste Erfolge der Gentherapie wurden in den frühen 2000er Jahren für schwere angeborene Immundefekt-Erkrankungen erzielt. Diese unterschiedlichen Erkrankungen des Immunsystem sind alle durch unterschiedliche Gendefekte in den blutbildenden Stammzellen bedingt. Zur Behandlung wurden den Patientinnen/en ihre eigenen Stammzellen entnommen, in einem spezialisierten Labor unter streng kontrollierten Bedingungen (GMP = Good Manufacturing Practice) mit dem Gentherapie-System korrigiert und anschliessend den Patientinnen/en nach einer Chemotherapie wieder zurück ins Blut infundiert. Von hier finden die korrigierten Stammzellen selbstständig ihren Weg ins Knochenmark, wo sie anwachsen und lebenslang gesunde Blut- und Immunzellen bilden.
Was sind mögliche Risiken und wie können sie vermindert werden?
Da es sich bei Gentherapien um neue Medikamente handelt, werden sie wie alle medizinischen Neuentwicklungen zuerst in klinischen Studien eingesetzt - an wenigen Patientinnen/en, die in der Folge über mehrere Jahre sehr genau überwacht werden. In den ersten Gentherapie-Studien kam es neben der Heilung der Patientinnen/en von ihrer Erbkrankheit unerwartet zu teils schweren Nebenwirkungen: Bei einigen Patienten hat die Gentherapie zu einer Blutkrebsentwicklung geführt und in einigen Fällen kam es zur Ausschaltung des Korrekturgens, wodurch die Erkrankung wieder zum Ausbruch kam.
Diese beiden Risiken müssen für einen dauerhaften Erfolg der Gentherapie unbedingt vermieden werden. Daher wurden in den Folgejahren in Forschungslaboren wie unserem am Institut für Regenerative Medizin der Universität Zürich starke Anstrengungen unternommen, diese möglichen Nebenwirkungen durch massiv verbesserte Gentherapie-Vektoren zu vermeiden.
Wir haben eine neue sichere und effiziente Plattform von Gentherapie-Vektoren entwickelt, die sehr spezifisch sind für eine Protein-Korrektur der Phagozyten (sog. Fresszellen wie z.B. Neutrophile Granulozyten, Makrophagen, oder auch Mikrogliazellen des Gehirns). Phagozyten stammen wie andere Immunzellen ebenfalls von den blutbildenden Stammzellen im Knochenmark ab. Mit unserer Plattform können in Zukunft über 50 Erbkrankheiten des Immunsystems, des Nervensystems und des Stoffwechsels therapiert werden.
Gibt es noch andere Gentherapie-Techniken und wie funktionieren diese?
Andere Erkrankungen, die nicht ihren Ursprung in den blutbildenden Knochenmark-Stammzellen haben, können heute mit anderer Gentherapie-Technik wie z.B. AAV Vektoren behandelt werden. Dabei wird ein kleines Korrekturgen ebenfalls in die Patientenzellen, z.B. Leberzellen eingeschleust, jedoch nicht in die DNA integriert. Dadurch kann in der jeweils korrigierten Zelle zwar das vorher fehlende Protein gebildet werden, bei einer Zellteilung wird jedoch das Korrekturgen jeweils nur an eine der beiden neuen Zellen weitergegeben. Das bedingt, dass diese Art der Gentherapie nur für Erkrankungen einsetzbar ist, die nicht in sich teilenden Zellen besteht, sondern nur in Körperzellen, die sich nicht mehr teilen, wie dies in manchen Organen der Fall ist. Zusätzlich gibt es häufig Immunreaktionen im menschlichen Körper gegen AAV, weswegen nicht alle Patienten für diese Art der Therapie in Frage kommen und daneben eine Immunsuppression nötig ist.
Eine andere Gentherapie-Technik ist das sog. Genom-Editieren mit CRISPR. Hierbei kann ein bestimmter Ort in der DNA angezielt und korrigiert werden. Diese Technologie ist v.a. für Erkrankungen interessant, bei denen es durch den Defekt zu einer Überfunktion von Genen mit vermehrter Bildung eines Proteins kommt. Hier kann CRISPR das entsprechende Gen entfernen und es kann anschliessend, wie bei der o.g. Genaddition durch ein gesundes Korrekturgen ersetzt werden. Leider hat sich jedoch gezeigt, dass CRISPR in einigen Fällen noch nicht effizient genug funktioniert und auch zu Nebenwirkungen an nicht angezielten DNA Orten führen kann. Diese können möglicherweise auch zu einer Krebsentwicklung führen.
Daher sind für CRISPR wie auch in der AAV Technologie weiterhin Verbesserungen nötig, bevor sie für Erbkrankheiten breit einsetzbar sind.
Wie kann ich/mein Kind eine Gentherapie erhalten?
Gentherapien sind nach anfänglichen Startschwierigkeiten durch neuartige Technologie, die zu stark verbesserter Sicherheit und Wirksamkeit geführt haben, aktuell sehr im Aufschwung.
Für einige Erbkrankheiten gibt es bereits als Medikamente zugelassene Therapien, so z.B. für SCID, Schwerer Kombinierter Immundefekt (Strimvelis), SMA, Small Muscular Atrophy (Zolgensma), MLD, Metachromatische Leukodystrophie (Libmeldy), ALD, Adrenoleukodystrophie (Skysona), oder für Sichelzellanämie (Lyfgenia und Casgevy).
Für andere Erbkrankheiten gibt es Gentherapie-Studien, an denen Patienten teilnehmen können. An der Universität Zürich sind folgende Therapien in Entwicklung und werden in u.a. Zusammenarbeit von Forschern und Ärzten im UFSP ITINERARE und dem Wyss Translational Centre Zurich bald in klinischen Gentherapie-Studien zur Verfügung stehen: Für p47-CGD (Chronic Granulomatous Disease, dt. Septische Granulomatose), einen erblichen Phagozyten Defekt und für Zitrin-Defekt, eine erbliche Stoffwechselerkrankung.
Stand: Februar 2024